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Schweizer Alp – Zwischen Käseristen und neuen Ausblicken

Was wir am liebsten machen, wenn wir nicht selbst unterwegs sind? Den Geschichten unserer »Slow Travel«-Community lauschen natürlich! Dafür machen wir hier regelmäßig Platz für eure kleinen und großen Abenteuer. Dieses Mal nimmt uns Fabian Hickethier mit in die Schweizer Alpen zum Käsemachen. Auf der Fluonalp im wunderschönen Kanton Obwalden lernt er die Arbeit von Käseristen kennen. Kramt euer Schwiizerdütsch raus, es wird ordentlich gebeizelt und geschwungen!

Der Motor röhrt, der solide aber etwas betagte Bulli zieht gut trotz zunehmender Steigung. Links und rechts nur grüne, abgefressene Weiden, nach links ist der Hang ziemlich abschüssig. Ich steuere den Wagen über eine schmale Piste aus zwei Betonstreifen. Nebelschwaden ziehen über den Berg, sichtbar nur die unmittelbare Umgebung. Wir sind auf dem Weg zu Steivan und Reto, die deutlich vor dem Sonnenaufgang mit dem Melken angefangen haben müssen. Anders kann das gute Dutzend Milchkannen hier nicht gefüllt auf uns warten, als Mario und ich um 7 Uhr anrollen, um die Milch zu holen. Wir waren zuletzt erst vor zwölf Stunden da und haben die Kannen geleert. Klar ist: die Tage auf der Alm sind lang.

Von der Kunst des Käsemachens

Ich rätsele, ob die beiden Erwachsenen und ihre viel jüngeren Helfer:innen eine Mittagspause haben. Und vermute, dass der Tag mit allerlei Verpflichtungen rund um die Herden der Milchkühe und Jungrinder und die Instandhaltung von Zäunen und Gerät gefüllt ist. Aus meinen Gedanken reißt mich ein Melkgerät, das spritzend in der Wassertränke landet. Wasser fließt hier überall. Klar und eiskalt kommt es über den Berg herab, fließt plötzlich irgendwo aus ihm heraus, läuft über Hänge und Pisten. Und es wird gebraucht. Käsemachen besteht aus einem guten Teil aus dem Säubern von Utensilien und Leitungen, ist meine Erkenntnis nach kurzer Zeit. Mario und Verena beharken sich scherzhaft. Sie kennen sich offenbar schon länger. Später erfahre ich, dass die Pubertierende meinen Käseristen im letzten Jahr im Schweizer Traditionssport Schwingen herausgefordert hat und die Piesackerei darauf anspielt.

Morgenstunden auf der Alp

Die Stimmung ist gut, die Morgenstunde ist von Scherzen und dem einen oder anderen Schnack geprägt. Die Milchkannen lassen wir leer auf dem im Dunst verschwindenden Hof zurück. Der Bulli hat mit der halben Tonne Zuladung ein ganz anderes Fahrverhalten, zumal es jetzt steil den Berg hinab geht. In der Käserei fließt die Milch durch ein System von Rohrleitungen direkt aus dem im Bulli montierten Tank in einen enormen Kupferkessel. Ein Teil wird durch eine Zentrifuge geleitet, die den köstlichen Rahm abschöpft, ohne den (in meinem Espresso) ich es heute früh nicht geschafft hätte: sechs Grad Außentemperatur im Juli eine Stunde nach Sonnenaufgang sind hier nicht ungewöhnlich. Mario zeigt auf die beiden Rohrleitungen, die auf Bodenhöhe unter den Kessel führen. Ein dünnes Rohr dient nachts der Kühlung. Durch das dicke strömt jetzt Wasserdampf aus dem großen mit Holzscheiten befeuerten Ofen, um die Milch langsam anzuwärmen.

Zig Handgriffe und unzählige Rohrverbindungen lassen mich den Überblick verlieren. Mario macht mich auf einen Messbecher aufmerksam. In dieser halb industriellen Umgebung erscheint mir das Gefäß, das aus meiner Küche stammen könnte, winzig. Es enthält den alles entscheidenden Zusatz: Lab, das die Milch stocken lässt und aus flüssig fest macht. Mit der linken Hand kippt er den Inhalt in den Kessel, durch den zwei überdimensionale Drahtgitter im Kreis pflügen. »Kommst du mit frühstücken?« fragt Mario, als er sich in Richtung »Beiz« wendet. Der frische Hefezopf ist willkommen.

Käsemasse und Bergnebel

Nach dem Frühstück prüft Mario mit einer Art Kehrschaufel die Konsistenz. Bis zum frühen Mittag wird wieder gewaschen, gepumpt und immer wieder die weiße Masse getschäkkt: Mario nennt den Vorgang, bei dem auf einen Rahmen gespannten Drahtseile durch den Kassel ziehen Milch schneiden. Dann füllen dicke Dampfschwaden den kleinen Raum der Käserei. Heißes Wasser durchströmt die weißen runden Manschetten, die den Käselaibern später die Form geben. Oder gleich: denn jetzt geht alles sehr schnell. Der Brei hat sich inzwischen zu einer deutlichen Körnung verdickt und wird über das Rohrleitungssystem in die weißen Manschetten gespült. Aus siebartigen Löchern sprudelt eine helle Flüssigkeit. Die Molke wird von der Käsemasse getrennt. Als Mario einige Augenblicke später den Käse gepresst und mit einem groben Leinentuch bedeckt hat, bin ich erstaunt, wo die ganze Flüssigkeit hin ist: die Käselaiber erscheinen recht überschaubar angesichts des Kessels, in den Mario später bequem besteigt, um ihn zu reinigen.

Den leicht süßlichen Geruch in der Nase mache ich mich auf durch den Bergnebel zurück zu der urigen Hütte, in die mich Mario eingeladen hat und die mir als Quartier dient. Das geschäftige Treiben um Käserei und Gastwirtschaft verstummt, als die Piste mit einer Rechtskurve um den Berghang führt. Vor mir ragen die Spitzen von Fichten aus dem Dunst. Alle paar Meter verändert sich das Bild völlig, weil neue Bäume auftauchen und alles, was ich hinter mir lasse, im Nichts versinkt. Als ein tosender Bach meinen Weg quert, weiß ich, dass links von mir meine Hütte sein muss. Ich freue mich richtig hohe Gummistiefel zu tragen.

Mit neuen Blick zurück nach Berlin

Als ich die Holztür aufdrücke, höre ich Kuhglocken vom Hang gegenüber. Es klingt, als ständen ob die Kühe neben mir. Den Tag über werde ich nichts anderes hören als sie und das Rauschen des Bachs vor der Wiese an meiner Hütte, die mir als Terrasse dient. Und ein, zweimal ein Auto: wenn Warja durch die Kräuterwiesen hinterm Haus fährt, um seine Milch selbst abzuliefern oder Vigeli nach den Schweinen hier draußen schaut. Abgeschieden und entrückt in einer Welt, die so fern von meinem getakteten, vollen Berlin scheint. Und ist: Mitten in Europa betreiben die Älpler:innen hier eine Milchwirtschaft, die mit der automatisierten Welt abseits der Berge nichts zu tun zu haben scheint.

Mario bestätigt meinen Eindruck: die Flächen fehlen im zersiedelten Flachland. Außerdem ist klassisches Heumachen zeitaufwändig. Die Konsequenz ist Silagefütterung. Die Milch, die dabei entsteht, enthält Gärstoffe, die die Milch unbrauchbar machen für Käse, der länger reifen soll. Als ich ein paar Tage später in der Bahn nach Berlin sitze, gucke ich mit anderen Augen auf eine sonst idyllisch scheinende Landschaft. Auch auf den ungemähten Randstreifen neben den Feldern gibt es kaum Blüten. »Überdüngt!«, habe ich Mario im Ohr. Da wächst höchstens noch Löwenzahn.

Die Fluonalp Alpkäserei und Beizli ist von Mai bis Oktober für Besucher:innen täglich geöffnet. Wer Lust auf noch mehr Berggeschichten bekommen hat, klickt sich fix zum Ausflug auf die Gaisalpe von Fotograf Max. Für alle, die auch mal hoch hinaus wollen: Unsere Bergheldinnen verraten hier ihre Tipps für Anfänger:innen und Profis.


Die Person hinter der Geschichte:

Ein Intro über Fabian Hickethier zu schreiben ist fies. Wirklich nur eins? Dabei gibt es soviel zu erzählen! Aber von vorne: Fabian ist 46, Gestalter und Mitgründer vom Design Studio BAR PACIFICO. Er fährt fast alles mit dem Rad und steigt für Langstrecken am liebsten in den Zug. Inspo fürs Nichtfliegen teilt der gebürtige Berliner hier. Sein Lieblingsplatz im Sommer ist der Plötzensee gegenüber vom Freibad, im Winter schlendert er gerne über die Pfaueninsel. Was er noch gut findet: Motorsägen, monströse Autobahnbrücken und »Sandwich Merguez Frites Sauce Américaine«. Wenn ihr Fabian trefft, fragt ihn über Inklusion, das Wendland und seinen Millennium Falcon aus.


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Fotos: Fabian Hickethier

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