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#WomenOnTour – Mit dem Rad durch Europa und die Pandemie

Was wir am liebsten machen, wenn wir nicht selbst unterwegs sind? Den Geschichten unserer »Slow Travel«-Community lauschen, natürlich! Dafür machen wir hier regelmäßig Platz für eure kleinen und großen Abenteuer. Dieses Mal nimmt uns Madeleine Hoppe mit auf ihre über 5.000 Kilometer lange Radtour durch Europa – und die Pandemie. Ein herrlich ehrliches Reisetagebuch, in welches wir uns direkt verliebt haben und es deswegen ganz ungekürzt mit euch teilen möchten.

»Schlimmer als 2019 kann es ja eigentlich kaum werden.« Es ist Januar 2020 als ich diese Worte denke und mit einer Freundin in meiner WG-Küche in Berlin sitze. Wir trinken genüsslich unseren Kaffee und fragen uns, ob dieses neuartige Coronavirus, was ab und zu in den Medien auftaucht, wohl eines Tages Deutschland erreicht. Unser klares Ergebnis: »Ach, never! Können wir uns absolut nicht vorstellen.« Keine zwei Monate später sitze ich wieder am Küchentisch – diesmal jedoch im Lockdown. Und arbeitslos. Die Arbeitslosigkeit hatte ich mir allerdings selbst zuzuschreiben. Schließlich sollte 2020 das Jahr meiner Radreise durch Europa sein, für die ich über ein Jahr lang gespart und sowohl meinen Job als auch meine Wohnung im Prenzlauer Berg gekündigt habe.

»Ja, scheiße Madeleine, dumm gelaufen…Was mache ich denn nun, so ohne Arbeit und Wohnung?« Erstmal wohl länger als gedacht zurück in die Heimat. Zurück ins alte Kinderzimmer ziehen und abwarten. Abwarten und Hoffen. Hoffen und Verzweifeln. Verzweifeln, weil aus der Reise, für die ich lange gespart habe, jetzt doch nichts wird. Weil ich voraussichtlich im 9.000 Seelenstädtchen versauere, anstatt 9.000 neue Orte, Plätze, Wälder, Berge, Seen, Meere, Dörfer, Städte, Menschen und Tiere zu sehen. Zugleich war ich mir während der gesamten Zeit des Wartens bewusst, über was ich mir da den Kopf zerbreche: Eine Reise. »Eine Reise, Madeleine. Die kannst du im Zweifel auch nächstes Jahr noch machen, die läuft dir nicht weg. Dir geht es so gut. Du bist gesund, hast ein Dach über dem Kopf. Du kannst Essen, was und wann du willst, 24/7 Bücher lesen, Musik hören oder Serien bingewatchen und es gibt dieses kleine tolle Teil in der Küche und im Bad, das sich Wasserhahn nennt, aus dem du nach Belieben trinken kannst. Dir wird im wahrsten Sinne des Wortes nicht der Hahn abgedreht, also entspann dich und guck, was sich ergibt.«

 

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Corona mag Pläne ändern, aber nicht meine Abenteuerlust stoppen

»Das wird schon irgendwie.« Dieser Gedanke formt sich zu meiner festen Devise für das Jahr 2020. Wenn ich meine Charaktereigenschaften nennen müsste, wären Flexibilität und die Einstellung »Joa, wird schon irgendwie klappen« ziemlich weit vorne mit dabei. Eigentlich doch die beste Ausgangslage, um ein Jahr wie dieses zu meistern, oder? Und tatsächlich, im Sommer wurden die Reisewarnungen aufgehoben und ich konnte mit etwas Verspätung und Umplanung Mitte Juli in die Pedale treten und auf meinem Fahrrad das Abenteuer suchen. Eine Sache, die ich dadurch gleich zu Anfang meiner Reise gelernt habe, ist Folgende: Das Beste daran, einen Plan zu haben ist, ihn jederzeit wieder verwerfen zu können. Denn die Pandemie mag zwar Pläne ändern, aber nie meine Abenteuerlust stoppen. Meine Reisemethode des Radfahrens kam mir dabei entgegen – denn wie kann man flexibler Reisen als mit dem Fahrrad? Man ist langsam genug, um alles sehen zu können, was man sich vornimmt, aber schneller als zu Fuß. Man kann einfach losfahren, braucht kein Bus-, Zug- oder Flugticket, das auf ein festes Datum datiert ist und muss so im Zweifel nichts umbuchen. Radreisen ist umweltschonend, gesund und kostenlos. Und in diesem Jahr wohl besonders wichtig: Die Routen lassen sich spontan entsprechend der Corona-Situation und diversen Restriktionen anpassen.

Zunächst ins Ungewisse, dann nach Sizilien

Gesagt, getan. Ein Fahrrad (liebevoll »mein blauer Powerranger« genannt), fünf Reisetaschen samt Zelt, Schlafsack, Isomatte, Campingkocher und der Motor: ich. Mitte Juli ging es also los von meinem Heimatdorf Breckerfeld in Nordrhein-Westfalen zunächst nach Polen und in die Slowakei. Anschließend ins Ungewisse, denn weitere Pläne hatte ich bis dato nicht. Einfach mal schauen, wohin es mich verschlägt. Mit dieser Einstellung radelte ich nach Österreich, durchquerte anschließend Slowenien und kam – unter Einhaltung aller Corona bedingten Vorsichtsmaßnahmen – im September in Norditalien an. Hier entstand – vielleicht auch ein wenig geblendet von der Schönheit des Landes und des unfassbar guten Essens – mein Ziel: Sizilien. Bis Anfang November waren Glück und Sonne auf meiner Seite und haben mir die schönste Zeit meiner Reise beschert. Durch Zufall habe ich Porto Venere entdeckt, einen kleinen Ort nahe »Cinque Terre«, der für mich wie ein zweites Zuhause werden sollte. Wollte ich hier doch eigentlich nur zwei Tage pausieren, blieb ich am Ende fast zwei Wochen bei einer Familie, konnte mich im Olivenernten erproben und mich durch Unmengen italienische Gerichte und Weine probieren. Damit mein Fahrrad jedoch das einzige blieb, das rollt, brach ich mein Zelt dort ganz bewusst ab und begab mich auf eine Berg- und Talfahrt durch die wunderschöne Toskana – einen der schönsten Teile der Reise.

 

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Von dort aus ging es über Rom und Napoli weiter an die Amalfiküste bis kurz vor Kalabrien. Hier sollte meine erste Nacht am Strand jedoch auch die letzte bleiben, denn auch in Italien stiegen die Inzidenzzahlen mit sinkenden Temperaturen an. Das Land wurde in die drei Zonen gelb, orange und rot aufgeteilt, wobei rot bedeutet, dass Reisen nicht mehr erlaubt ist. So auch die Zone, in welche ich als nächstes reisen wollte. Ein kurzer Moment der Verzweiflung wird von meiner Flexibilität abgelöst. Kurzerhand entschied ich, mir noch einen weiteren Monat in Porto Venere den Bauch vollzuschlagen. Mit dem Zug ging es also zurück nach Ligurien und, mit negativem Corona-Test im Gepäck, nach »Porto Venere« zu meiner neuen zweiten Familie. Vier Wochen lang gab es für mich keinen Grund weder einen Fuß noch mein Rad von deren großen Grundstück mit Meerblick wegzubewegen. Die Weihnachtszeit wollte ich jedoch bei meiner Familie in Breckerfeld verbringen, sodass ich Anfang Dezember schweren Herzens die Heimreise via Zug angetreten bin. Ich warte jedoch darauf, im nächsten Jahr hoffentlich meine Reise auf Sizilien fortsetzen zu können.

Die Klügere gibt nach

Von insgesamt 140 Tagen on Tour, waren mindestens 120 unfassbar schön. Aber natürlich gibt es auf einer solchen Reise nicht nur positive Momente. Wie auch? Als wäre der Alltag Zuhause durchweg perfekt. Ich hatte mit Sicherheit mehr als nur ein paar herausfordernde Tage. Insbesondere erinnere ich mich immer wieder an die Slowakei zurück – ein wunderschönes Land, das es bis auf traumhafte Natur leider nicht so gut mit mir gemeint hat. Wenn’s dicke kommt, dann eben auch richtig und mit voller Wucht. In meinem Fall an drei hintereinander folgenden Tagen. Zunächst wurde ich Augenzeugin eines Bergunfalls. Ein Junge ist in einer Schlucht hinabgestützt und ich weiß bis heute nicht, was aus ihm wurde. Am selben Tag bricht mir beim Zeltaufbau eine Zeltstange, am nächsten Tag die zweite. Nur für eine der beiden Stangen hatte ich einen Ersatz und natürlich gab es mitten im Nichts auch keinen Ersatzteileshop.

 

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Aber Improvisation ist ja bekanntlich alles und Not macht erfinderisch: Ich habe ich es hinbekommen, das Zelt in den nachfolgenden Wochen mit zwei, anstatt drei Stangen aufzubauen und mir dabei dennoch einen gewissen Komfort zu bewahren. Ein gesamter Regentag rundete mein Slowakeierlebnis ab. Regen an sich ist ja erstmal nicht so tragisch. Wenn dich aber dein Navi über Wege mit bis zu 20 Prozent Steigung führt (die definitiv nicht zum Radfahren, sondern allerhöchstens für Wanderungen gemacht sind), du sieben bis zwölf Mal (habe irgendwann aufgehört zu zählen) dein Gepäck ab- und wieder aufladen musst, weil überall Baumstämme auf dem Weg liegen und es über eine Strecke von acht Kilometern neben dir 50 Meter in die Tiefe geht, dann kann daraus der herausforderndste Tag der gesamten Tour erwachsen. Und der Moment, in dem ich meinem eigenen Ego nachgegeben habe und entschieden habe, eine Strecke mit dem Zug weiterzufahren. Dem Ego nachgeben, irgendwie doch bescheuert, oder? Ich hatte mir im Vorfeld eingeredet, dass eine Radreise bedeutet, wirklich jeden Kilometer mit dem Rad zurücklegen zu müssen. Gott sei Dank konnte ich dies für mich richtigstellen und kann somit – abgesehen von den geschilderten Slowakei Erlebnissen – ausschließlich in schönen Erinnerungen schwelgen.

Fahrradfahren – die Lösung für (fast) alles

Hatte ich vor der Abreise noch eine Menge Zweifel und Sorgen bezüglich der Corona-Situation, habe ich währenddessen gemerkt: Mit dem Fahrrad zu reisen ist sicherer als viele andere Wege. Ich nutzte kaum Busse, Bahnen oder andere öffentliche Verkehrsmittel. Besichtigte keine großen Städte und überfüllte Gebiete. Oft traf ich tagelang niemanden und war nachts allein in meinem Zelt inmitten der Natur. Mittlerweile kann ich mit Sicherheit sagen: Das Reisen mit dem Fahrrad ist eine großartige Lösung während einer Pandemie wie dieser. Wie überall auf der Welt und bei allen Aktivitäten bedeutet Reisen in diesem Jahr jedoch, dass es von größerer Einsamkeit bestimmt ist. Meiner Meinung nach stellt dies jedoch keinen negativen Aspekt dar. Vielmehr ist es eine andere Erfahrung, die mich bereichert hat. Summa summarum war meine Radreise anzutreten, auch inmitten einer Pandemie, die beste Entscheidung, die ich hätte treffen können. Fahrradfahren ist für mich die schönste Art des Reisens und ich habe wieder einmal festgestellt, wie wenig ich zum Leben und glücklich sein benötige. Ein schöner Sonnenauf- bzw. untergang über dem Meer oder den Bergen hat für mich so unfassbar viel mehr Wert als das 30. Paar Schuhe und ein Leben im ständigen Konsum.

 

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»You go, girl!«

Trotzdem erreichten mich vor und während der Reise immer wieder die zwei selben Fragen. »Ist das nicht gefährlich, eine Radreise so alleine als Frau?« und »Wird man da denn nicht auch einsam, so ganz alleine?« Ich glaube, die meisten, die mir diese Fragen stellten, meinen, ob alleine reisen (als Frau) nicht gefährlich sei, weil es, »da draußen«, gerade im Ausland, böse Menschen – im Zweifel Männer – geben könnte, die mir etwas antun könnten. Nun, dazu sage ich Folgendes: a) finde ich es sehr traurig, dass das Reisen als Frau (noch immer) gefährlicher zu sein scheint, als als Mann und b) finde ich es durchaus beängstigend, dass ich der Meinung der Nachfragenden nach erstmal ins Ausland fahren muss, um schlechten Menschen begegnen zu können. Meine Antwort lautet also: Nein, meine Reise war nicht gefährlich. Mir ist auf der gesamten Tour nichts passiert, was vielleicht aber auch damit zusammenhängt, dass ich mich nicht naiv und übermütig in unbekannte Situationen stürze und ein gutes Bauchgefühl habe, auf das ich vertraue. Ich glaube, dass es unter Umständen gefährlicher ist, nachts alleine in einer Berliner Bar zu verweilen und im Anschluss alleine den Heimweg anzutreten. Was ich aber zu 100 Prozent sagen kann, ist, dass die Natur unberechenbar ist. Und dass es ihr nicht darauf ankommt, welchem Geschlecht man sich zugehörig fühlt. Aufgrund dessen sollte jede:r Respekt und Hochachtung vor ihr haben. Dann ist eine Radreise – auch als Frau sehr gut zu meistern. An dieser Stelle wünschte ich mir, es gäbe mehr Frauen da draußen, die eine derartige Reise machten, Vorbilder für andere Frauen wären und sagen: »You go, girl!«

 

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Aber vielleicht das Wichtigste: Ich habe mich in diesen vier Monaten reisen so gut kennengelernt wie nie zuvor. Dadurch, dass ich die meiste Zeit alleine war, ist es sehr von Vorteil gewesen, dass ich schon immer recht gut mit mir selbst klar gekommen bin. So ist es mir auch gelungen, schwierige Situationen zu meistern, in denen ich nicht nur einmal ans Aufgeben gedacht habe. Rückblickend zeigt mir jeder dieser einzelnen Momente, zu was mein Körper in der Lage ist, mit wieviel mehr Stärke ich aus jeder Situation herausgegangen bin und wie sehr ich in mich selbst Vertrauen kann. Und wenn ich nach einer heftigen Bergfahrt, bei der ich meine letzte Energie fürs Fluchen verschwendet habe, oben ankomme und eine schöne Abfahrt voraus habe, dann weiß ich nicht nur, wofür ich das alles mache, sondern bin vor allem stolz. Stolz auf mich. Und ich finde, das dürften wir alle mal viel öfter auf uns sein.

Wer jetzt Lust auf eine Radtour durch Europa bekommen hat, klickt sich am besten zum Ausflug durch Norditalien mit Fotograf Max. Für Anfänger*innen empfehlen wir erst einmal einen Kurztrip nach Cottbus oder zur INSL Kyritz. Gute Fahrt!


Die Person hinter der Geschichte:

Als die Mail von Madeleine Hoppe bei uns ins Postfach flattert, sind wir von Anfang von begeistert. Von ihrer offenen Art, ihren wunderbaren Worten und dem ansteckenden Lachen. Die wissbegierige und proaktive 28-jährige wohnt mittlerweile in Köln, wo sie am liebsten am Decktseiner Weiher dem Sonnenuntergang entgegenfiebert. Wenn sie nicht gerade in die Pedale tritt, arbeitet sie als Social Media und Kommunikationsmanagerin und ganz wichtig – plant ihre nächste Reise. Dabei möchte sie vor allem Frauen ermutigen, ihr nachzueifern und steht dafür gerne mit Rat und Tipps beiseite. You go, girl!


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Fotos: Madeleine Hoppe

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