Was passiert beim »Waldbaden« und wie wird man überhaupt zertifizierte »Waldbaden-Leiterin«? Das haben wir uns auch gefragt. Und dann Lara Leonie Keuthen, die sich unter den grünen Baumkronen zuhause fühlt. Im Interview sprechen wir über Achtsamkeit, Digitale Nomaden, »Aha-Erlebnisse« und ganz viel Herzblut.
»Energy goes where the attentions flows«, so lautet das schöne Mantra von Lara Leonie Keuthen. Die Hamburgerin wuppt nicht nur zusammen mit Fenja Kramer das Eco Magazine Peppermynta, sondern ist auch zertifizierte »Waldbaden-Leiterin«. Mit Mimameid hat sie sich einen Herzenswunsch erfüllt: Sie unternimmt regelmäßig in kleinen Gruppen Ausflüge in den Wald und bringt ihn uns damit näher. Nicht nur zu unserem Zweck, sondern auch zu seinem. Denn was wir lieben, schützen wir. Und diese Begeisterung steckt an: Nach dem Interview mit der selbst ernannten Waldbotschafterin fühlen wir uns absolut beflügelt und möchten gleich in ins Grüne radeln. Davor erzählt uns die 30-jährige aber, wie sie von der PR-Karriere zum Waldbaden kam und wie wichtig es ist, seinem Herzen zu folgen. Eine Übung fürs »Solo-Waldbaden« zum selber ausprobieren verrät sie uns natürlich auch noch. Nun aber erst einmal Zeilen frei für Lara Löwenherz Keuthen!
Du bist zertifizierte »Waldbaden-Leiterin«. Wie kamst du dazu und wie können wir uns die Ausbildung vorstellen?
Ich bin als junges Mädchen am Waldrand aufgewachsen. Unser Haus war am Rande eines kleines Dorfes, im Winter hatten wir sogar Wildschweine im Garten. Wir haben jeden Tag im Wald gespielt und ich habe es geliebt. Ich habe mir »Blättermasken« ins Gesicht geklebt (mit Spucke selbstverständlich) und Stockhöhlen gebaut. Mit 13 Jahren bin ich mit meiner Familie an die Ostsee gezogen. Auch schön, aber eben kein Wald. Nach meinem Abi startete ich eine steile Agenturkarriere. Klassiker: Irgendwann konnte ich einfach nicht mehr. Bestimmt war es eine Art »Burnout«. Damals bestärkte mich meine alte »Co-Living«-WG darin, mich selbstständig zu machen. Und ich tat es. Mein Tag wurde flexibler, kein »9 to 21« Uhr mehr. Ich ging immer öfter in die Natur und fand dort neue Kraft, neue Inspiration, Erdung. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass wenn wir »Ja« zu Mutter Erde sagen, sich alles andere fügt. Ich sagte »Ja« zum Wald.
Und so stieß ich irgendwann auf die neue Disziplin »Waldbaden«. Ich meldete mich einfach so für die Ausbildung an, weil ich wusste, dass es richtig für mich war. Ich musste über ein Jahr warten, bevor es losging. Die Ausbildung war geprägt von einer tollen Gruppe von rund 15 weiteren Waldliebhaber*innen und zwei Dozent*innen. Wir haben viel Zeit im Wald verbracht, aber auch Theorie gelernt, zum Beispiel über Waldgesetze oder die gesundheitlichen Effekte des Waldes, die messbar im Körper sind. Die Ausbildung macht Spaß und ist eigentlich für jede*n geeignet, der oder die anderen Menschen die entspannende Wirkung des Waldes näher bringen will. Diesen Sommer werde ich noch eine weitere Ausbildung zur klinischen Waldtherapeutin machen. Denn bald gibt es hoffentlich »Vitamin Wald« auf Rezept.
Digitale Nomadin trifft auf Achtsamkeit: Wie verbindest du die beiden Konzepte miteinander?
Das ist tatsächlich meine tägliche Herausforderung. Ich selbst arbeite Remote und relativ flexibel. Das ist ein unheimlich riesiges Geschenk. Und unheimlich trifft es gut. Denn diese Flexibilität kann auch zu einem Fluch werden. Immer erreichbar sein, auch wenn man krank ist. Tausend Channels, die gepflegt und gecheckt werden wollen. Für mich gehört zum »Digital Nomad« sein ganz viel Disziplin. Noch mehr auf die eigenen Bedürfnisse hören, sich Pausen gönnen und strukturieren. Und Lieblingsorte nicht mit Arbeit verbinden. Ich setze mich zum Beispiel nie in den Wald, um dort zu arbeiten. Eventuell um frei zu schreiben, zu dichten oder zu singen. Aber nicht, um eine Präsentation vorzubereiten. Durch das Selbtständigsein lerne ich jeden Tag aufs Neue, meine Grenzen zu setzen. Das klappt mal mehr, mal weniger gut.
Was hast du persönlich vom Waldbaden gelernt?
Mein größtes »Aha-Erlebnis« ist wirklich, dass die Zeit in der Natur die beste Prävention für einen gesunden Körper und einen gesunden Geist ist. Wir alle sind von grundauf mit der Natur verbunden. Ob wir wollen oder nicht. Das ist Evolution. Der Wald ist ein Spielfeld für die Sinne und wie ein weiches Federbett für unseren ständig wachen Kopf. Manchmal wirkt Atmen und Ankommen Wunder. Waldbaden ist ein Immunbooster, ein Stimmungsaufheller und besser als jeder Spinat-Smoothie. Außerdem liebe ich, dass es immer mehr Studien über die gesundheitlichen Effekte des Waldbadens gibt.
Wir sind zu einer Waldbaden-Session mit dir verabredet. Was erwartet uns?
Es erwarten euch zweieinhalb Stunden, die wie im Fluge vergehen. Körper- und sinnaktivierende Übungen, achtsamkeitsstärkende Meditation, Kreativübungen, Solozeit und eine neue Art der Verbundenheit mit dir selbst und der Natur. Waldbäder bestehen aus Einladungen – wenn du also Lust hast, einfach zwei Stunden nur unter einem Baum zu sitzen, dann kannst du das auch machen. Ich gebe Impulse - aber keine feste Anleitung. Im Laufe der Zeit kommst du in deinen Waldflow und saugst die Atmosphäre des Waldes mit allen Sinne auf. Das funktioniert fast wie von alleine.
Draußen vs. Drinnen: Wie schaffst du es, die Atmosphäre des Waldes und das Gefühl des Waldbadens in den (Quarantäne-)Alltag einzubauen?
Gegenüber unseres Bettes hängt ein 1,50 x 1,50 Meter großes Waldbild, das Roman auf Rügen aufgenommen hat. Es gibt Studien darüber, dass schon alleine das Ansehen eines Naturbildes für positive Stimmung sorgt. Also: Her mit den Waldbildern! Außerdem nutze ich ätherische Öle, die ich über einen Diffusor in die Luft gebe. Aktuell am liebsten Lärche, ein echter Herzöffner. Die ätherischen Öle enthalten auch die immunstärkenden Terpene. Natürlich in viel geringerer Anzahl als im Wald. Aber immerhin besser, als ohne!
Dein Tipp fürs Solo-Waldbaden?
Handy aus und alleine losgehen! Wenn du nicht alleine gehen magst, dann gebt euch Zeit für Stille. Reden kann man auch beim After-Forest-Coffee. Ich mag diese Übung sehr gerne: Sie ist einfach und interaktiv und nennt sich »90 Grad sehen«. Unseren Sehsinn nutzen wir rund 80% des Tages – aber viel zu selten ganz bewusst. Für das »90 Grad sehen« suchst du dir im Wald eine Stelle, an der du deinen Blick etwas in der Ferne ruhen lassen kannst. Nimm einen bequemen Stand ein. Achte darauf, dass du deine Knie nicht zu stark durchdrückst, sondern locker und leicht stehst. Höre für ein paar Züge deinem Atem zu und beginne dann mit der Übung. Du schaust einfach geradeaus und nimmst wahr, was dich umgibt. Die Bäume, ihre Rinde, Moose, Blätter, Sträucher. Schaue nicht nach links oder rechts, sondern ruhe deinen Blick ganz einfach und nimm wahr. Du kannst dir entweder einen kleinen Wecker stellen oder die Position intuitiv verändern. Du drehst dich auf der Stelle 90 Grad um deine rechte Achse und nimmst wieder wahr. Das machst du insgesamt viermal, bist du an deinem Ausgangspunkt angekommen bist. Wie sieht die Natur jetzt aus? Wie fühlst du dich? Wie hat sich dein Blick verändert? Schließe zum Abschluss deine Augen und stelle dir aus der Vogelperspektive vor, wie du im Wald stehst. Nimm dir für die Übung etwa 10 bis 15 Minuten Zeit.
Den Wald mit lauter Bäumen sehen! Die Lieblingswälder von Lara sind der Sachsenwald bei Hamburg und ein Auenwald bei Eichhof in Brandenburg. In ihrer Stadt Hamburg liegt sie am liebsten unter einem Ginkgobaum im Park Planten un Blomen. Unter Mimameid findet ihr die nächsten Termine zum gemeinsamen Waldbaden.
Unser Buchtipp zum »Waldbaden«-Interview:
Eine Japanerin in Bayern – Miki Sakamoto nutzt die Sehnsucht nach ihrem Heimatland als Anlass für anregende Waldspaziergänge. In ihrem Buch nimmt sie uns mit ins Grüne, sie beschreibt uns die unterschiedlichen Aromen des Waldes, das Licht, welches durch die Bäume trifft, als wären wir selbst dabei. Sie erzählt uns aber auch von Kröten und Mistkäfern, eben alle den kleinen und großen Dingen, die im Wald auf uns warten. Das Buch sorgt für sofortige Entschleunigung und lässt uns auch im Stadtalltag von der Natur träumen. Und ganz nebenbei lernen wir, wie das funktioniert, mit dem Waldbaden ohne Schwimmzeugs.
»Eintauchen in den Wald« von Miki Sakamoto, 208 Seiten über hanserblau
Fotos: © Roman Dachsel