Erste und vielleicht wichtigste Erkenntnis eines jeden langsam Reisenden: Das Abenteuer fängt längst vor dem eigentlichen Ankunftsort an. Schon mit dem Verlassen der Wohnung, den letzten Treppenstufen im Haus und der ins Schloss gefallenen Tür, beginnt das schöne Ungewisse. Mit dem ersten Schritt bestimmen wir zwar die Richtung, das Ziel wird aber nur zu einem Anhaltspunkt unserer Reise, dazwischen kann und darf alles passieren. Wir erwarten das Unerwartete. Unser Redakteur und Fotograf Max nimmt uns ein Stück mit auf seinen Weg zum »Berggasthof Gaisalpe«.
Eines der schönsten Dinge an meinem Beruf als Fotograf ist die Chance, immer wieder Einblicke in das Leben anderer Menschen zu bekommen. Meine Woche auf der »Gaisalpe«, in der Nähe von Oberstdorf, ist mir dabei besonders in Erinnerung geblieben: Der Berggasthof liegt wunderschön am namensgebenden Gaisalpbach, auf einem Plateau über dem Oberstdorfer Tal. Im Frühling und Herbst liegt das Tal in den Morgenstunden im weißen Nebelmeer, nur ein Hügel mit ein paar Häusern ist dann noch zu sehen. Im Rücken steht ihm zu jederzeit das mächtige Rubihorn.
Das Bayern-Ticket ist gezogen, die Kamera geladen und der Reiseproviant schon lang verputzt, bevor ich überhaupt nur den Zug betreten habe. Die Zugfahrt dauert rund vier Stunden und wird von Minute zu Minute schöner. Ab Augsburg kommen Mark und Adam dazu, beide dürfen wie ich eine Woche auf einem Alpengasthof verbringen, um dort das Leben fotografisch zu dokumentieren. Je weiter wir in das Tal hineinfahren, desto langsamer wird die Bahn. Es schaukelt und rattert was das Zeug hält. Ich strecke den Kopf aus dem riesigen Schiebefenster und bestaune das Alpenpanorama. Die Sonne hat bereits den Zenit überschritten und wandert nun langsam über die Alpen in Richtung Westen.
Leicht beschwipst und voller Vorfreude
In Oberstdorf angekommen, laufen wir direkt zum nächsten Supermarkt und bestücken uns mit Bier und weiterer Wegzehrung. Von dort geht es dann zu Fuß entlang der Iller in Richtung Reichenbach. Bier und Wetter sind berauschend. Die Schatten der Bäume wachsen mit jedem Schritt und als wir oben auf der Schöllanger Burgkapelle angekommen sind, streift die Abendsonne schon fast die östlichen Gipfel. Es ist die erste richtig warme Frühlingswoche und ich kann kaum glauben, dass ich all das hier jetzt mindestens sieben Tage nur für mich habe. Die untergehende Sonne taucht den Himmel erst in ein sattes Rot, dann in ein immer bläulicheres Lila.
Während wir hier im Tal schon im Schatten der heraufziehenden Nacht liegen, leuchtet der Gipfel des Rubihorns noch ein letztes mal im Gold der untergehenden Sonne auf. Wir sitzen auf einer kleinen Steinmauer, schauen vom Hügel der Kapelle auf das Dorf und sprechen über Gott und die Welt. Hier scheint das Brot besser zu schmecken, die Luft klarer zu sein, ja alles ist irgendwie ein bisschen wirklicher als zu Hause. Je später der Abend, desto mehr verschwimmt die Grenze zwischen Sehnsucht und Verklärung. Es ist unser erster und einziger gemeinsamer Abend. Morgen früh wird jeder für eine Woche auf einen anderen Alpengasthof entsandt. Leicht beschwipst und voller Vorfreude lege ich mich in meinem Schlafsack neben die Anderen und starre in die sternenklare Nacht.
Morgentau und die »Flädlesuppe«
Die Nacht war bitterkalt und der morgendliche Tau gibt mir nun endgültig den Rest. Von Verklärung kann nun nicht mehr die Rede sein. Erst als die ersten Sonnenstrahlen durch die Nebeldecke brechen, bessert sich meine Laune. Wir frühstücken gemeinsam die letzten Reste und ziehen dann einzeln in Richtung unserer Alpengasthöfe los. Erst als es so richtig bergauf geht, merke ich, dass ich gestern wohl doch ein wenig zu tief ins Glas geschaut habe. Der Weg führt rund eine halbe Stunde entlang des Gaisalpbachs bis zum Gasthof der Familie Zobel. Man erwartet mich schon. Als mich Vater Max begrüßt, wird mir zum ersten Mal klar, dass die Leute hier einen ganz eigenen Dialekt sprechen. Ich tue mir schwer jedes Wort auf Anhieb zu verstehen und lächele erst einmal nur. Max stellt mich dem Rest der Familie vor und führt mich, freundlich aber bestimmt, durch den alten Gasthof.
Während er mir mein Zimmer für die kommenden Tage zeigt, denke ich an den Großvater von Heidi. Der war doch auch so mürrisch, aber eigentlich ein netter Kerl. Ich überlege kurz, ob das hier einfach die Art ist und lege mich auf das Bett. Die schlaflose Nacht steckt mir noch in den Knochen und ich schlafe direkt wieder ein. Pünktlich zum Mittagessen wache ich wieder auf. Ich solle mir einfach was von der Speisekarte aussuchen. Ich traue mich nicht gleich in die Vollen zu gehen und bestelle erstmal eine »Flädlesuppe«. Max raunt mir nur ein »Mensch Kerl, ess halt was Gscheits« zu und schüttelt mit dem Kopf. Ab da war mir klar, hier kann ich bleiben.
Max Ernst Stockburger lebt als Dokumentarfotograf in Berlin – Zuhause ist er aber auf der ganzen Welt. Seine Reisen führen ihn mit dem Roller durch Japan und per Roadtrip durch Amerika. Mit seinem Volvo fuhr er monatelang quer durch die Staaten, um zu erforschen, was das Land im Inneren zusammenhält. In Bayern aufgewachsen weiß er aber zu gut, dass das nächste Abenteuer nicht weit entfernt liegt. Weitere Reiseerinnerungen findet ihr hier.
Öffnungszeiten
Die Öffnungszeiten für den Berggasthof Gaisalpe variieren je nach Jahreszeit, im Sommer könnt ihr den Ort täglich ab 9.00 Uhr besuchen. Die aktuellen Zeiten findet ihr auf der Website.
Anreise
Ab München schnappt ihr euch am besten ein Bayernticket und fahrt damit nach Oberstdorf. Von dort geht’s per Fuß zum Berggasthof. Wer es noch sportlicher mag, nimmt sich ein Rad mit.
Gut zu wissen
Rund um die Gaisalpe gibt es viele Wandermöglichkeiten, von wildromantisch bis kindertauglich. Auf dem Weg zum Berggasthof gibt es die Gaisalpkapelle zu entdecken.
Berggasthof Gaisalpe e.K.
Max & Silvia Zobel
Gaisalpe 3
87561 Oberstdorf
www.gasthof-gaisalpe.de
[email protected]
Fotos: Max Ernst Stockburger / Draussen Magazin